GUDRUN ROSE

 

*1951 in Völklingen / Saarland, 1970 - 76 Germanistik- und Geographiestudium in Saarbrücken, 1976-77 Referendariat in Saarbrücken, 1977 – 2011 Unterricht am Gymnasium Humboldtschule / später Gymnasium am Mühlenweg in Wilhelmshaven. Lebt seit 1977 in Wilhelmshaven, schreibt seit 2008 überwiegend moderne Lyrik und Kurzprosa, hoch- und plattdeutsch. Mitglied im AK seit 2011, Betreuung des Ihlow-Projekts 2011/12, Veröffentlichungen in Zeitungen / Zeitschriften und Anthologien, Mitherausgeberin der Anthologie „Ihlowsionen“ (2012).

 

 

 

 

 

TEXTPROBEN

Wegweiser

Novemberzweige
moosüberdeckt und müde
weisen den See mir

Kein Windzug jetzt
über den Wassern

Ihr alten Zweige
kommt und führt mich
zurück zum Stamm

 

Dreist und zugenäht   

Dieses Ziehen im Nacken! Katharina hasste die langen Auto­fahr­ten zu den Se­minaren. Es war schon dunkel, als sie die Autobahn herunter glitt, um das letzte Stück auf dem Weg nach Hause in Angriff zu neh­men. „Positiv denken!“ Ja, genau. Die übertrieben bunten Buch­staben dieses Mottos hatten sie wäh­rend der Tagung von der Pinn­­wand her angelächelt. Katharina dachte an Schafskäse und Oli­ven, die Heiko ihr ange­kün­digt hatte, und an sein bedeutungsvolles Lippenzucken, wenn sie mit einem Glas Rotwein anstoßen würden.

„Wie wär’s mit einer Massage nach dem Essen?“ Heiko saß neben ihr am Tisch; er wusste genau, was sie jetzt brauchte. Vorsichtig angedeutetes Schmerz-Lä­cheln und kaum wahr­nehmbares Kopfnicken.

Seine großen Hände umfassten ihre Schultern und sie spürte den sanften Druck neben den Halswirbeln. Nein, viel Neues hatte Heiko nicht zu berichten. Vor zwei Tagen hatten sie ja noch miteinander te­lefoniert. Doch: Heiko fiel ein, dass er einen Anruf ihres Sohnes  Adri­­an verpasst hatte. „Musst du dir gleich mal anhören auf dem Anrufbeantworter. Er erzählt von den beiden Kunststudentinnen in der WG.“

Heiko verschwand im Bad. Die abendliche Nassrasur war dran und  Katha­rina hörte das muntere Pfeifen, das dieses Ritu­al wie so oft begleitete. Sie nahm das Telefon, um Adrians Stimme auf dem Anruf­beantworter zu hören.

Im Display wurden drei Gespräche angekündigt. Der erste An­rufer hatte gleich wieder aufgelegt. Eine Frauenstimme jetzt: „Ich bin’s. Wo steckst du denn?“ Katha­rina hielt den Atem an. „Na, ich meld’ mich später wieder.“ Ein säuselnder Ton. Das kann nur diese Kim gewesen sein. Diese dreiste Person, meldet sich mit „Ich bin’s.“ Das steht ihr nicht zu! Nach dem Klassentreffen hatte diese Frau einen Brief an Heiko geschickt und mit „Deine Kim“ unterschrieben. Sau­be­re Hand­schrift. Fast antik. Fotos aus der Schul­zeit waren dabei, immer wieder Kim und Heiko, ausgelassen im Schnee und bei der Party auf der Klassenfahrt damals. Und dann auch noch ein Porträtfoto – ge­radezu nar­zisstisch! Heiko hatte nur mit den Achseln gezuckt. „Nicht wichtig“, sollte es wohl heißen. Verflixt und zugenäht! Woher weiß diese Schlan­ge, dass ich in die­ser Woche nicht zu Hause war? Sie muss es wissen, sonst hätte sie diese Säuselei nicht gewagt. Heikos Pfeifen machte Katharina ganz nervös. Hätte ich nicht gespürt, wenn etwas nicht in Ordnung wäre zwischen Heiko und mir? Wahrscheinlich merk­t er gar nicht, was die­se Kim inszeniert. Männer merken so was nicht.

Katharina hatte ein flaues Gefühl im Magen. Nein, Ruhe be­wah­ren! Erst mal sortieren. Adrians Anruf war jetzt nicht so wichtig. Sie musste die Stimme noch einmal hören:  „Ich bin’s.“  Dieser Ton, unverschämt! Aber irgendwas kam ihr bekannt vor.  Unsicher drückte sie nochmals die Tasten. „Ich bin’s. Wo steckst du denn?“ Oh nein! Es war ihre ei­gene Stimme, die sie da hörte. So unendlich fremd. Ihr fiel ein, dass sie sich bei Heikos Videoaufnahmen auch immer über ihre merk­wür­dig helle Stimme gewundert hatte. Katharina biss sich auf die Unter­lippe. Die Erinnerung: Irgendwann während des Seminars – am An­fang der Woche - hatte sie Heiko vor dem Abendessen noch schnell erreichen wollen, aber nur den Anrufbeantworter erwischt. Sein Han­dy war abgeschaltet.

Katharina sah nicht auf, als Heiko im frischen Hemd neben ihr auftauchte und ihren Schenkel berührte. Sie strich blind mit dem Hand­­rücken über seinen Hals, dann über sein Kinn: „Deine Stoppeln hätten mich heute gar nicht gestört!“   

 

Waarhen?                 

En bietje benaut
up disse frömde Disk
Warme Woorden
van de Swester
un en Striekeln
över de Wang

Dat Dörnanner
in mien Foot
is en besünner

Se sünd en raren Fall 
seggt de grote Snieder
un he hett all vööl
Foten sehn
in sien Leven.

Nu geiht dat loos
Kien Geföhl daar unnen
heel dood mien Been’

Waarhen sall
mien Foot mi brengen?
Wat woord
de witte Töverer
an disse Mörgen
mit mi anstellen
wat ofsnieden
tosamenflicken
torechtschoostern?

Ik will dat weten
un bliev waak
Kien Slummertrunk

Man dör de Wand
ut Papier
mit gröön-witte Wulkjes
kann ik nich kieken
Blot de Plastikvörhang
an de Sied
jüst as en Spegel
lett mi kukeluren

Sien Arm
över dat Linnen
Sien röhrig Hand
gifft dat Teken